Hat der Lokaljournalismus eine Zukunft?
Die deutsche Lokalzeitungslandschaft sucht ihresgleichen. Trotz der Marktkonzentration gibt es immer noch über dreihundert Regional- und Lokalzeitungen. Allerdings sinkt die verkaufte Gesamtauflage der Tageszeitungen in Deutschland seit Jahren kontinuierlich ab.
Die deutsche Lokalzeitungslandschaft sucht ihresgleichen. Trotz der Marktkonzentration gibt es immer noch über dreihundert Regional- und Lokalzeitungen. Allerdings sinkt die verkaufte Gesamtauflage der Tageszeitungen in Deutschland seit Jahren kontinuierlich ab. Sie betrug im Jahr 2020 rund 12,5 Millionen Exemplare. Davon entfallen etwa 80 Prozent auf die regionalen und lokalen Titel. 1991 betrug die Gesamtauflage noch 27,3 Millionen Exemplare.Es lesen nicht nur immer weniger Menschen eine Lokalzeitung. Sie werden auch immer älter. Der Durchschnittsleser einer Lokalzeitung ist laut DJU 55 Jahre und älter. Die jüngere Generation nutzt vor allem das Internet als Informationsquelle. Ist die Lokalzeitung ein Auslaufmodell?Wir gehen in diesem Beitrag der Frage nach, wie sich der Lokaljournalismus ändern muss, damit er eine Zukunft hat.
Das traditionelle Zeitungsmodell hat ausgedient
Schauen wir uns die Ausgangssituation an. In der heutigen Medienwelt haben sich das Repertoire und die Nutzungsgewohnheiten gewandelt. Jeder hat durch das Internet Zugang zu Nachrichten. Google und die sozialen Netzwerke gehören neben TV und Radio inzwischen zu den wichtigsten Nachrichtenlieferanten.
Das Geschäftskonzept der Tageszeitung mit der Nachricht als Kern ist obsolet. Jede Zeitung konkurriert nur einen Click entfernt mit einer Vielzahl von Angeboten im World Wide Web. Die Stärke von einst, als Generalist Orientierung zu bieten, erweist sich inzwischen als ein Hemmschuh. Ein standardisiertes Einheitsprodukt kann den differenzierten Lebenswelten von heute nicht mehr gerecht werden.
Das sieht auch die werbetreibende Wirtschaft so. Sie sucht sich insbesondere auf dem Anzeigenmarkt neue Wege am Printprodukt vorbei. Die Printwerb- und Printvertriebserlöse der Zeitungen sinken von Jahr zu Jahr. Immer mehr Budgets werden in die digitalen Kanäle verlegt.
Neue Vertriebschancen für Lokalzeitungen durch E-Paper und Apps
Die digitale Transformation ist für die Zeitungsverlage daher das Gebot der Stunde. Nicht zuletzt durch die massenhafte Verbreitung von Tablets und Smartphones finden die E-Paper immer mehr User. 2020 überschritten die verkauften digitalen Auflagen erstmals die Zwei-Millionen-Marke pro Erscheinungstag. Die meisten E-Paper verkauften dabei mit 1,48 Millionen Exemplaren die Tageszeitungen; dagegen waren es nur 1,14 Millionen lokale und regionale E-Paper. Einer Trendumfrage zufolge erwartet die gesamte Zeitungsbranche allerdings für 2021 bei E-Paper einen Zuwachs bei E-Paper von 44 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Immerhin ergeben sich mit dem E-Paper völlig neue Möglichkeiten der Leseransprache und auch der Vermarktung von Inhalten und Werbeformaten. Besonders erfolgreich sind jene Apps, die mit zusätzlichen Funktionen ausgestattet sind und nicht nur als einfache Kopie des Druckproduktes erscheinen. Dazu gehören beispielsweise Merk- und Vorlesefunktionen, Podcasts, interaktive Rätselseiten, Zoomfunktionen und vieles mehr. Der Kreativität sind hier keinerlei technologische Grenzen gesetzt.
Sehr anschaulich zeigt das auch molo.news – eine lokale Nachrichten- und Informations-App für Bremen und Umgebung. Zielgruppe ist die mobile junge Generation, die mit der App Zugang zu den wichtigsten aktuellen Meldungen regionaler Medien, offizieller Einrichtungen und verschiedenster Kollektive aus Bremen und Umgebung erhalten kann.
Die App ist als Nachrichten-Sampler aufgebaut, der sich aus den verschiedensten Quellen speist. Molo.news – molo steht für moving local – bündelt vier Fragen, die jeder Nutzer für sich entscheiden kann: Was bewegt mich an der Stadt? Wohin bewege ich mich? Wie bewege ich mich? Was kann ich bewegen? Basis für die Entwicklung von molo.news waren die Nutzungsgewohnheiten und Kundenansprüche und erst in zweiter Linie redaktionelle Überlegungen und Konzepte. Die empirische kommunikations- und medienwissenschaftliche Forschung ist hier beispielhaft mit kreativer Softwareentwicklung verbunden worden.
Weitere Beispiele finden Sie in unserem Blogbeitrag „Wie die Digitalisierung von Lokalzeitungen erfolgreich sein kann“ sowie in diesem Beitrag.
Lokalzeitungen brauchen eine Multimedia-Strategie
Die Redaktionen von Regional- und Lokalzeitungen stehen täglich vor der Frage, was interessiert die Leser und Leserinnen, wie findet mein Content in dem Medien-Konglomerat Aufmerksamkeit, für welche digitalen Inhalte sind die Leser- und Leserinnen bereit, zu bezahlen. Eine Studie der Hochschule Hannover zur Frage „Was ist heute eine attraktive Zeitung“ gibt einen Anhaltspunkt, was bei jungen Erwachsenen ankommt: Es sind gut recherchierte Lokalberichte, meinungsstarke Kommentare, aufgezeigte Lösungswege und Perspektiven. Dagegen lehnen sie Artikel über nationale oder internationale Themen in Regionalzeitungen ab. Hier bewerten sie laut Studie Internet, TV oder Radio als die bessere Informationsquelle.
Ein gutes Beispiel, wie ein Regionalverlag Lokaljournalismus für junge Menschen umsetzen kann, ist „Freistunde“ – ein Projekt des Straubinger Tagblatts und der Landshuter Zeitung. Hier bestimmt eine autarke Jugendredaktion die Themen der Onlinezeitung „Freistunde“ sowie die Content-Strategie für die diversen Social-Media-Kanäle. Die Inhalte werden jeweils mediengerecht sowohl für die Online-Zeitung als auch für Instagram, Twitter, Facebook, YouTube, Snapchat, Spotify usw. aufbereitet. Software-Anwendungen helfen dabei, die Aktivitäten zu steuern und auf Nutzerinteraktionen zu reagieren.
Außerdem gehören zum Portfolio von „Freistunde“ eine eigene Podcast-Reihe und die Poetry-Slam- Events „Freischnauze“. Querfinanziert durch die Mediengruppe Straubinger Tagblatt/ Landshuter Zeitung sind die digitalen „Freistunde“-Formate für die junge Leserschaft ein kosten- und werbefreies Angebot.
Lokale und hyperlokale Portale binden ihre Community ein
Wie Lokaljournalismus auch verlagsunabhängig funktionieren kann, zeigt der Preisträger des Netzwende Award 2020 RUMS. Die RUMS-Macher schreiben darüber, was sich in der Stadt Münster „verändert, wo es hakt und wie es besser werden kann – über Zusammenhänge und Hintergründe in Politik, Wirtschaft, Kultur und Ökologie“. Darüber hinaus bietet RUMS seinen Lesern die Möglichkeit, an Veranstaltungen teilzunehmen, in denen die Redaktion Themen aus den Briefen, Geschichten und Podcasts aufgreift und weiterführt. RUMS ist werbefrei und finanziert sich über Abo-Gebühren. Nach einem kostenlosen Test-Monat können die Leserinnen und Leser zwischen einem „Standard“-, „Idealistisch“ oder „Großzügig“- Abonnentenbeitrag von acht bis zu 40 Euro wählen.
Auch der Erfolg der unabhängigen hyperlokalen Portale zeigt, dass unter den Menschen ein großes Bedürfnis nach gutem Lokaljournalismus besteht. Marode Straßen, fehlende Kitaplätze und unbezahlbarer Wohnraum – das sind Themen, die den Bürgern unter den Nägeln brennen und von den Machern der hyperlokalen Portale wie prenzlauerberg-nachrichten.de, neukoellner.net in Berlin oder „Meine Südstadt“ in Köln aufgegriffen werden. Hier wird unverfälscht über die Menschen und Debatten im Stadtteil oder Viertel berichtet – quasi nicht nur über, sondern unmittelbar von der Straße aus. Die Bindung zwischen Redaktion und Lesern ist auch hier besonders hoch. Von den Vor-Ort- Berichten profitieren dann oft genug nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner selbst, sondern auch die großen Tageszeitungen. Die meisten dieser Portale finanzieren sich wie RUMS über die Mitgliedsbeiträge der Community und sind werbefrei. Andere wiederum werden zusätzlich von lokalen Sponsoren unterstützt.
Politik legt Förderprogramm für Zeitungsverlage auf
Damit die Verlage verstärkt in die digitale Transformation investieren können, hat die Bundesregierung 2020 ein 200-Millionen-Euro-Förderprogramm auf den Weg gebracht. Es soll „den Verlagen ein zweites, zukunftsträchtiges Standbein verschaffen“. Profitieren können Abonnementzeitungen und -zeitschriften sowie Anzeigenblätter mit einem redaktionellen Anteil von mindestens 30 Prozent.
Die Presseförderung in dieser Größenordnung ist für die Bundesrepublik ein Novum. In anderen europäischen Ländern wie Österreich, Frankreich und Schweden ist eine solche seit Jahren durchaus üblich. Das deutsche Förderprogramm bedarf noch der Genehmigung durch die Europäische Kommission. Aber noch in diesem Jahr sollen Verlage 180 Millionen Euro aus dem Programm abrufen können – beispielsweise für den Aufbau von Online-Shops, Rubriken-Portalen oder Apps sowie von eigenen oder verlagsübergreifenden Plattformen zum Vertrieb der Inhalte.
Für die Zukunft des Lokaljournalismus ist ein Kulturwandel nötig
Ziehen wir ein Fazit: Das klassische Instrumentarium der Vertriebs- und Mediaerlöse reicht nicht mehr aus, um die Zeitungstitel nachhaltig zu finanzieren. Allerdings besteht ein großer Bedarf an lokalen Berichten und Geschichten. Gut recherchierter, fundierter und konstruktiver Lokaljournalismus hat eine Zukunft. Jedoch ist ein Kulturwandel in den Lokalredaktionen vonnöten. Denn um hohe Reichweiten zu erzielen, müssen die Inhalte multimedial und zielgruppenspezifisch für die verschiedenen digitalen Kanäle, einschließlich der Social-Media-Kanäle, aufbereitet werden.
Die Regional- und Lokalzeitungen müssen agiler werden und technologische Möglichkeiten für sich nutzen, um im Wettbewerb um die User-Aufmerksamkeit im World Wide Web bestehen zu können. Die Ein-zu-eins-Transformation des Printmediums ins E-Paper kann dabei nur ein erster Schritt sein. Die Verlage müssen schließlich über das einfache E-Paper hinaus ihr digitales Portfolio und ihre Services erweitern, damit sie in der Zukunft im Lesermarkt und im Werbemarkt erfolgreich sein können.
Wir unterstützen regionale und lokale Verlage seit 13 Jahren im Digital Publishing und bringen innovative technologische Lösungen in die Redaktionen. Vielleicht können wir ja auch Sie dabei unterstützen, neue digitale Produkte zu entwickeln.
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