Sep 28, 2023

Papierlos und intelligent: Die Zukunft des Verlagswesen mit E-Paper und KI

Digital Publishing Deep Dive Folge 9

Christian Kallenberg, Inhaber von We Like Mags, and Benjamin Kolb, Geschäftsführer von Purple, im Gespräch mit Prof. Christof Seeger, Studiendekan für Crossmedia Publishing & Management an der Hochschule der Medien in Stuttgart.

Christof Seeger, ein Experte in Medien und Kommunikation, studierte Druckereitechnik mit Schwerpunkten in Marketing und Management an der Fachhochschule für Druck (FHD) in Stuttgart. Nach seiner Tätigkeit als Verlagsleiter und Geschäftsführer eines Zeitungsverlags erwarb er internationale Erfahrung bei Newsweek.

Seit der Gründung einer Unternehmensberatung im Jahr 2004 hat Seeger in zahlreichen Verlagsprojekten mitgewirkt. Er ist zertifizierter Social-Media-Marketing-Manager (2014) und Digital-Marketing-Manager (2015) und schloss 2017 ein Fernstudium zur "Digitalen Musikproduktion" ab.

Seegers Einfluss auf die Hochschullandschaft umfasst die Einführung des Lehr- und Forschungsfelds Sportkommunikation an der Hochschule der Medien. Im Masterstudiengang Crossmedia Publishing & Management ab 2020/21 können Studierende die Digitalisierung im Sportsbereich vertieft erforschen. Seit 2019 ist er auch am Institut für angewandte künstliche Intelligenz an der HdM tätig, wo er sich auf kommunikationswissenschaftliche Fragestellungen konzentriert, insbesondere im Kontext von Presseverlagen, Medienhäusern und Sport. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medienrezeption, digitale Transformation und die Rolle von Medienmarken im Zeitalter von Social Media.

Weiterführende Informationen: https://www.hdm-stuttgart.de/science/beitraege_eines_autors?mitarbeiter_ID=500029

Das erwartet Sie in dieser Folge:

00:55: Christof Seeger als Professor an der HdM

02:28: Das Institut für angewandte künstliche Intelligenz an der HdM

03:13: Ergebisse der Studie zum E-Paper und der Nutzerfreundlichkeit bei Kauf eines E-Papers

09:50: Die Wichtigkeit des E-Papers in Verlagen

13:36: Qualitätsjournalismus als Markenkern

16:05: Umstieg von Print auf Digital

18:42: E-Paper als Brückentechnologie

20:24: Einsatz künstlicher Intelligenz in Verlagen

23:31: Vollautomatisierung durch KI und die Gefahren von KI

27:12: Training von KI-Modellen: eine Prognose

29:25: Rechtliche Aspekte bei der Verwendung von KI und dem Training von KI-Modellen

31:17: Social Media Plattformen und Medienmarken

35:24: KI als Assistenz

Transkript

Christian Kallenberg:

Willkommen zum Digital Publishing Deep Dive von sprylab technologies und We like Mags. Mein Name ist Christian Kallenberg und auch heute sitzt mir gegenüber Benjamin Kolb, Geschäftsführer von sprylab technologies.Hallo Benni!  

Benjamin Kolb:

Hi Christian! Nach dieser langen Sommerpause habe richtig Lust auf die neue Folge. Du auch?

Christian Kallenberg:

Ich auch, denn wir haben einen spannenden Gast: Professor Christof Seeger ist Professor an derHochschule der Medien in Stuttgart. Wir wollen über neue Erkenntnisse zur Nutzung von E-Papern und beim Einsatz von künstlicher Intelligenz in Medienunternehmen sprechen. Hallo Christof!


Christof Seeger:

Schönen guten Morgen,Christian. Hallo Benjamin.

Christian Kallenberg:

Hallo Christof schön, dass du da bist. Aber bevor wir in medias res einsteigen, magst du einmal sagen, was macht man denn als Professor an der HdM? Was machst du? Vor allenDingen als Professor an der HdM?

Christof Seeger:

Das ist eine schöne Frage. Gute Frage, ist der Podcast sozusagen schon alleine mit meinem Job sozusagen ausgefüllt. Die HdM ist ja einer der größten Medien-Hochschulen in Deutschland mit fünfeinhalb tausend Studierenden. Wir haben über 30 Studiengänge und ich darf in zwei Studiengängen wirken. Das eine ist der Media Publishing Bachelor, ein Studiengang, der sich rund um Verlage sozusagen dreht.  Ich bin dort in einer Professur für periodische Medien, beschäftige mich also mit Zeitungen und Zeitschriften in gedruckter und digitaler Form. Und ja, ich lehre viel zu Zeitschriften und Zeitungen, aus dem Marketing, aus dem Journalismus. Bin aber auch aktiv in der empirischen Forschung tätig. Also, wir machen Studien, Erhebungen, befragen Leute auf wissenschaftlicher Basis und mir dann auch unsere Erkenntnisse der Branche oder in Publikationen angedeihen zu lassen. Zudem darf ich einen Master-Studiengang leiten. Der nennt sich Cross Media Publishing und Management. Da vertiefen wir einerseits die Publishing Richtung, wir haben aber auch seit drei Jahren einen besonderen Schwerpunkt mit der Sportkommunikation, wo wir uns ausschließlich von Kommunikationsfragen in, aus und mit dem Sport beschäftigen.


Christian Kallenberg:

Da hast du nicht zuviel versprochen, Christof. Das war eine lange Antwort. Ich habe gelesen, du bist ja auch Teil des Instituts für angewandte künstliche Intelligenz. Magst du dazu noch zwei Sätze zu sagen?


Christof Seeger:

Ja, die HDMI -hab's vorhin gesagt- ist sehr breit aufgestellt. Wir haben auch Medieninformatiker hier im Hause, wir haben Ethiker im Hause, wir haben Menschen im Haus, die sich mit Visualisierung beschäftigen. Und da ist für uns sozusagen auch eine Unternehmenskultur, eine Hochschulkultur, dass wir interdisziplinär zusammenarbeiten. Und da haben sich eben Kolleginnen und Kollegen aus den verschiedenen Disziplinen zusammengesetzt und ein Institut für künstliche Intelligenz gegründet und betreiben dieses. Also ich komme dann mit meinem Domänenwissen sozusagen aus der Pressebranche in dieses Team, während andere sich um dieOptimierung von Algorithmen kümmern und wir haben gemeinsam Veranstaltungen und Projekte ganz unterschiedlicher Art.

Christian Kallenberg:

Wir haben es heute also mit einem wirklichen echten Experten zu tun. Und jetzt, Christof, wollen wir auch gleich dein Expertenwissen abrufen. Du hast vorhin am Anfang schon gesagt, Zeitschriften und Zeitungen ist ein Thema für dich und ich weiß aus unserem Vorgespräch, dass du gerade an einer neuen Studie sitzt, die viele unserer Hörerinnen und Hörer sicher interessieren wird, die Du zusammen mit der ZMG zum Thema E-Paper erstellst. Magst du einmal kurz das Studiendesign beschreiben?


Christof Seeger:

Ja, sehr gerne!  Wir arbeiten sehr häufig mit Partnern aus der Wirtschaft zusammen oder mit Organisationen. So auch der mit der Zeitungsmarktforschungsgesellschaft, einer Tochter des Bundesverbandes der Digital Publisher und Zeitungsverleger, dem BDZV. Wir haben im vergangenen Semester ein Lehrforschungsprojekt aufgesetzt, also unter Beteiligung auch von Masterstudierenden und unsere Fragestellung war einfach: Nachdem ja das E-Paper jetzt in aller Munde ist und Wachstumsprognosen hat und sehr stark sozusagen jetzt auch in den Fokus der Vermarktung von den Verlagen gerückt ist, war unsere Fragestellung, die wir uns zu Herzen genommen haben, wie einfach ist es eigentlich für den Nutzer/die Nutzerin sich bei einem E-Paper, bei einem Kaufprozess auf den Webseiten anzumelden? Der methodische Mix war, dass wir mit zwei verschiedenen Methoden die Sache angegangen sind. Wir sind einerseits mit einer quantitativen Inhaltsanalyse gestartet. Das heißt, wir haben ein Codebuch entwickelt mit 18 Variablen und haben hier 587 Webseiten von Verlagen untersucht.
Also z.B.:  Wo steht der Abo-Menüpunkt? Ist der auf der ersten Seite? Muss man da scrollen? Gibt's den überhaupt? Wie viele Abo-Formen mit E-Paper gibt es? Wie viele Klicks braucht man, um ein Abonnement abzuschließen?  All das waren die Fragestellungen und wir haben dann mit diesen Ergebnissen einen weiteren Test gemacht, einen Eyetracking Test. Wir haben hier auch Labore zur Blickverlaufsmessung und haben dann ausgewählten Probanden bestimmte Fragen gestellt, die wir dann gemessen haben, die sie erfüllt haben und haben dieses daneben noch recorded und ausgewertet und sind jetzt gerade dabei mit der ZMG zusammen, dann auch die Ergebnisse tatsächlich noch zusammenzustellen, zu interpretieren und dann in geeigneter Form auch zu veröffentlichen,

Christian Kallenberg:

Wann wird die Studie denn im breiten Publikum zugänglich gemacht?


Christof Seeger:

Das kann ich jetzt nichtgenau sagen. Aber ich denke schon, dass wir bis Ende des Jahres dann noch mal was davon hören werden.

Christian Kallenberg:

Magst du denn schon einen kleinen sneak peek hier verraten? So die Erkenntnis oder eine Erkenntnis, von der du jetzt schon sagen kannst, das ist für Publisher*innen interessant.


Christof Seeger:

Ja, ich glaube ich verrate nicht zu viel, dass wir beispielsweise einfach bei der Thematik der Präsentation der Angebote, also, wenn E-Paper eine Rolle in der Vermarktung spielt, dass wir, dass die Verlage häufig bei der Präsentation auf der Webseite noch ein bisschen Optimierungsbedarf hätten. Zwar sind schon ganz viele gute Ansätze mit dabei. Aber es sind dann doch immer so 20-30 % dabei, die z.B. überhaupt gar kein Abo oder E-Paper Knopf auf der ersten Seite haben. Dann müsste man scrollen beispielsweise. Ich glaube das sind so Punkte, da wird es auch offensichtlich, dass hier Optimierungspotenzial besteht.  Aber was auch eine Erkenntnis war, dass wir die Anzahl der Klicks gezählt haben. Wie lange man eigentlich klicken muss, um dann auf die Angebotsform zu kommen. Und es ist mit drei bis vier Klicks doch relativ viel.
Vor allen Dingen, wenn man das dann auch noch von dem untersuchenden Probanden sozusagen ins Verhältnis hat setzen lassen, ob es einfacher oder schwieriger wäre im Vergleich zu Netflix oder Spotify. Da wird eben aus der subjektiven Perspektive sehr häufig schon berichtet, dass es eher komplexer und komplizierter ist. Das sind solche Grunderkenntnisse, die wir dann noch ausarbeiten müssen, um auch vielleicht Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, wie man es besser machen könnte

Benjamin Kolb:  

Was mich dann noch interessieren würde: Du sprachst vorhin von den Variablen, die ihr da ansetzt. Habt ihr die Probandengruppe auch entsprechend irgendwie aufgeteilt, ob die vielleicht schon ein Digitalabo haben und noch kein E-Paper Abo oder sie generell schon Abo für Zeitung oder Zeitschriften schonmal abgeschlossen haben? Also was sind die Grundvoraussetzung? Weil viele Verlage findest Du unter unseren Kunden, die überlegen ja schon immer, ob sie Hybridprodukte rausbringen. Das heißt also so digital+ plus E-Paper quasi in einer App. Ob das jetzt von Vorteil ist oder nicht, das ist immer die spannende Frage. Habt Ihr da auch Untersuchungen gemacht, was die Probanden-Gruppe angeht?


Christof Seeger:

Man muss kurz unterscheiden, also diese Variablen, diese vorhin genannten die sind mit codieren erstellt worden. Das waren elf Stück. Die haben wir in klassischen Reliabilitätstest durchgeführt, dass auch alle das richtige codieren. Da ging es gar nicht um die persönlich subjektive Einschätzung. Dort ging es tatsächlich das einzige Subjektive war, wie empfindet der Kodierer den Anmeldeprozess im Vergleich zu Netflix undSpotify. Die Tracking Probanden – Eyetracking ist eine qualitative Studie, das heißt da hat man nicht die großen Fallzahlen - da wurde nicht dahingehend ausgewählt mit Echt-Kunden aus den Verlagen, sondern wir haben einfach die GenZ genommen, die bei uns ja hier an der Hochschule vorhanden ist und haben die sozusagen vor die Aufgabe gestellt: Bitte buche ein E-Paper, bei den ausgewählten Webseiten. Wir haben die Webseiten geclustert. Es waren keine 570, die sie sich anschauen mussten, aber haben bestimmte Kriterien ausgewählt und definiert und es sind einfach qualitativ ergänzende Informationen. Da gebe ich dir, Benjamin sicherlich recht! Also, wenn man das mit Kundinnen und Kunden macht, die die Verlage kennen, die auch ein gewisses Know-how haben, sich auf den Webseiten umzuschauen und zu navigieren und die Struktur von Verlagswebseiten kennen, dann mag das noch mal vielleicht die ein oder andere Erkenntnis geben. Aber im Grunde denke ich schon, dass wenn wir Neu-Kundinnen und -Kunden ansprechen wollen, die bislang wenig Kontaktpunkte hatten und Touchpoints, dann kann man da noch optimieren.

Christian Kallenberg:  

Christof, das Thema E-Paper beschäftigt dich in deiner Forschung ja schon länger. Du bist bei mir auf dem Radar zum Thema E-Paper vor ein paar Jahren aufgetaucht. Da gab's ne Studien der Motor Presse meine ich, die du mit konzipiert hast. Was würdest du sagen, wie hat sich die Wichtigkeit des E-Papers bei den Verlagen über die Jahre entwickelt?


Christof Seeger:

Zu der Studie mit der Motor Presse da haben wir letztes Jahr eine E-Paper Insights Studie erstellt. Eine rein quantitative Umfrage mit 5400 Befragten, richtigen Kundinnen und Kunden der Motor Presse und der einzelnen Verlagstitel, also von der Auto Motor Sport über die Caravan bis zu Pro Mobil. Und haben da einfach auch Nutzungssituationen und Akzeptanzwerte und wie die Leute denn auch derartige Zeitschriften nutzen befragt. Mit Ergebnissen, die auch andere, wie der BDZV in Zeitungsstudien herausgefunden hat, ähnliche Werte herausbekommen haben zum Thema Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der Inhalte und auch die Nutzungsdauern sind relativ vergleichbar bei der Zeitschriftennutzung gewesen im Vergleich zur Print-Nutzung. Das ist einerseits schön und toll, dass quasi die Akzeptanz und das muss man sich natürlich noch mal bei der Motor Presse im Besonderen vorstellen. Hier werden die Zeitschriften ja eben auch mit einem anderen Motiv genutzt, wie Tageszeitung beispielsweise. Und auch sehr viel mehr im mobilen, also gerade bei Titeln wie Pro Mobil oder so. Das sind die Leute vielleicht mit dem Wohnmobil an irgendeinem schönen Bergsee und laden sich die E-Paper Ausgabe herunter, und genießen die dann und lesen die in aller Ruhe. Gut ist, diese Akzeptanzwerte, die Glaubwürdigkeit, die Seriösität und auch die Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden mit den Produkten -auch im Hinblick auf die Vermarktung von Anzeigenplatz und für Werbekunden - das sind da relativ positive Aspekte, wie ich finde und es ist auch gut so. Und die Verlage haben ja nicht zuletzt aufgrund der Materialentwicklung, also der Papierpreis-Entwicklungen und überhaupt der Kapazität des vorhandenen Papiers bis hin zu Energiepreisen und bei Tageszeitungen auf die Problematik der Zusteller mit den Mindestlöhnen und der immer teurer werdenden Logistik-Prozedere, um deine Tageszeitungen an die entsprechenden Abonnenten zu auszuliefern, sind natürlich gezwungen und sie ja schon längst, vielfältig digitale Produkte herzustellen und zu vertreiben. Und da war natürlich das E-Paper erstmal neben der Webseite und Plus-Abonnements oder Plus-Angebote natürlich relativ naheliegend. Wobei das E-Paper ja nichts Neues ist, das kann Benjamin sicherlich auch bestätigen.  Das ist ja schon relativ lange, ich will nicht sagen, ein Produkt, was so oder so entsteht, um mich mal vorsichtig auszudrücken.

Benjamin Kolb:  Auch lange Abfallprodukt genannt.

Christof Seeger:

Ja, das habe ich jetzt so nicht gesagt. Aber es war halt vom Produktionsprozess doch eher etwas, das keinen weiteren Aufwand bedeutete. Das lag aus meiner Sicht aber nicht nur an der Einfallslosigkeit der Verlage, sondern das hat ganz viel mit den IVW Richtlinien zu tun. Denn die E-Paper Auflage wurde dann nur zur IVW gezählt, also zu gezählter Auflage hinzuaddiert, wenn Sie den IVW Richtlinien entsprochen hat und es war halt bis Februar 2023 das 1:1 Abbild der gedruckten Tageszeitung. Und daraus sind dann auch diese E-Paper Produkte entstanden, die aus Usability Sicht sicherlich auch ein Uplift erfahren können.

Benjamin Kolb:

Aber da ist ja die spannende Frage auch gerade in Richtung Glaubwürdigkeit und diese Erlebnisse und so weiter, was würdest du denn den Verlagen raten? Sollten sie eher bei dem E-Paper Format, was die Anmutung einer Zeitung oder Zeitschrift hat, bleiben oder erweitern Richtung Digitalisierung, etwas mehr wagen, also mehr Interaktivität, andere Formate, andere Arten des Leseerlebnis bieten und trotzdem quasi bei dem Bundle bleiben? Also es ist eine kuratierte Ansammlung von Artikeln, aber die werden digital ganz anders gelesen gerade auf dem Smartphone- natürlich unpraktisch mit dem klassischen E-Paper Format. Was würdest du den Verlagen raten, in welche Richtung sie gehen sollen?

Christof Seeger:

Also ich denke schon, dass der Kern, das Prinzip Zeitung wie ich immer sage, also der Content, der kuratierte Content, der gut recherchierte Content, der Qualitätsjournalismus, das ist der Kern der Marke. Und ich glaube, dass für viele Rezipienten dieser Kern der Marke immer wichtiger wird und den sollte man auch auf keinen Fall irgendwie aufgeben oder beliebig machen. Die Darreichungsform diese Inhalte hingegen, da gibt es vielleicht auch nicht diese eine richtige Antwort. Ich glaube, wir wissen alle, dass sich das Mediennutzungsverhalten ändert, dass sich die Endgeräte ändern. Du hast gerade gesagt, der Medienkonsum findet zunehmend auf dem Smartphone statt und vielleicht zukünftig noch mehr auf dem Smartphone.Das heißt natürlich: Macht ein Zeitungsformat als E-Paper blätterbares PDF auf dem Smartphone erstmal wenig Sinn, weil es einfach nicht auf dieses Endgerät passt oder passen kann. Und ich glaube schon, dass es jetzt Entwicklungen geben muss und auch geben wird, um auch dieses Nutzungserlebnis -denn nur dann bleiben die Leute ja auch letzten Endes auf dem jeweiligen Angebot- dass dieses Nutzungserlebnis eine größere Rolle spielen wird. Wir werden die Produkte angepasst sehen, mittelfristig auf die entsprechenden Endgeräte ohne den Markenkern, das Bundling, die Kuratierung aufgelöst zu haben. Und die IVW lässt es jetzt ja auch zu, dass man mit den extended E-Papers beispielsweise eben auch jetzt Bewegtbild oder Audioformate oder Aktualisierungen im Text vornehmen kann. Also es ist nicht mehr ganz so statisch, wie es war.

Benjamin Kolb:

Das ist richtig! Aber was ja schon ein interessanter Punkt ist,  dass oftmals die Online-Angebote der Verlage ja gerade zu Zeiten, wo sie dann wirklich nur mit Werbung Geld verdient haben, schon der gedruckten Version der Marke sozusagen qualitativ unterlegen waren und wenn man jetzt voll auf eindigitalisiertes E-Paper geht, das gar nicht mehr wie eine Zeitschrift anmutet, sondern eine Ansammlung von Artikeln ist, von dem man halt nur sagt, die sind jetzt qualitativ hochwertig,  dann hat man ja schon im ersten Schritt ein Problem mit den Kunden, die dann halt umsteigen müssen von ihrem wertvollen Print-Anmutung-Produkt hin zu einer voll digitalen Ausgabe, wo man quasi nur Artikelsammlung drin hat. Und da beschäftigen wir uns natürlich auch viel mit. Weil klar, auf dem Smartphone ist es natürlich viel besser so zu lesen, aber diese Anmutung vermittelt eben auch die Qualität zum Teil und die Kunden dahin zu erziehen, dass das dann trotzdem die gleichen Inhalte sind, nur in einer anderen Anmutung. Und das halt ein nicht ganz einfacher Schritt, glaube ich.


Christof Seeger:

Ja sicher, also, ich meine wir wissen, dass die Mediennutzung ein stark habitualisiertes Verhalten ist. Die Leute haben gelernt mit gewissen Dingen umzugehen, haben bestimmte Merkmale gelernt und du sagst, die visuelle Anmutung von Printprodukten ist nicht nur eine Artikelansammlung, wie eine endlose Webseite, wo einfach ein Artikel nach dem anderen folgt. Sondern wir haben eine inhaltliche Strukturierung, wir haben Resorts, wir haben große und kleine Artikel. Das heißt, die Bedeutung des Artikels allein durch die Überschrift wird er schon mal anders hervorgehoben. Wir haben auch in den Printprodukten, das ist ein ganz tolles Wort, was ich erst vor kurzem gelernt habe, die Möglichkeit der Serendipität. Das heißt, dass man auf Inhalte stößt beim Blättern in einem Printprodukt und positiv überrascht wird von einem Inhalt, an den man bislang gar nicht gedacht hatte. Und das ist natürlich bei einer ich sage mal linearen Anordnung beispielsweise oder wenn wir dann auch nur noch customized machen, nur Newsletter versenden und verschicken, dann wird natürlich diese Serendipität eingeschränkt. Das heißt, ich werde unter Umständen, Inhalte nicht mehr ausgespielt bekommen, die mich trotzdem in meiner Persönlichkeit, in meinem Horizont weiterbringen. Und wie ich das mitbekomme, ist da schon einiges auch in den Verlagen jetzt in den Prozessen, genau darüber auch nachzudenken. Überall, wo ich so reinhöre, ist das E-Paper, was wir jetzt gerade kennen, für die meisten immer eine Art der Brückentechnologie, das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange.


Christian Kallenberg:

Da würde mich interessieren Benni, wie ist das bei euren Kunden? Sehen die das ähnlich im Durchschnitt?

Benjamin Kolb:

Der Durchschnitt, das ist das Problem bei der Frage. Denn man muss schon sehen, dass die Verlage oder mal nicht der Verlag sondern Titel auf ganz  unterschiedlichem Level sind. Dazu gibt es jetzt einige gerade im englischen Markt, da ist das sehr stark, die gehen also vollkommen weg von dem E-Paper hinzu wirklich komplett digitalen Bundles. Da ist das Schöne, die probieren eben auch neue Geschäftsmodelle aus, indem sie da wirklich neben den Standardausgaben Collections anbieten. Was im Digitalen viel einfacher ist. Da gibt es von Wandermagazinen daneben die 10 schönsten Touren eines Gebietes und so weiter und die können dann eben thematisch noch mal zusammen stellen und damit auch ganz andere Geschäftsmodelle noch mal bringen, weil die dann Abo-Stufen haben und so weiter. Und die nutzen diese Möglichkeiten, während hingegen eben andere Titel, die jetzt in Deutschland so gerade erst anfangen, sich damit zu beschäftigen. Die brauchen erstmal einfach eine E-Paper App, wo das gleiche drin ist, was man am Kiosk bekommt. Und was wir eben voll automatisieren für unsere Kunden und das ist schonmal so ein erster Schritt, den sie dann gar nicht mehr mitdenken müssen, dass man so eine E-Paper Ausgabe natürlich auch in den Artikel Modus umschalten kann, wo man dann auf dem Smartphone einfach lesen kann oder sich vorlesen lassen kann, viel also auch mit  Sprachausgabe, was tatsächlich auch viel genutzt wird. Die Nutzungssituation ist dann wahrscheinlich, wenn man mobil unterwegs ist, dann eben einfach über Kopfhörer sich die Artikel vorlesen zu lassen, das bringen wir vollautomatisiert mit. Und das lässt viele Leute eben auch nachdenken: Na, ja, dann können wir ja auch eigentlich was ganz anderes machen, wenn wir sehen, dass der Lesemodus mehr genutzt wird als das eigentliche Replica.


Christian Kallenberg:

Bei dem Thema durch KI-generierte Stimmen, die eigentlich Printartikel in Audio übersetzen, könnten wir jetzt ja sehr schön zu unserem zweiten Themenblock KI überleiten. Christof, da hast du ja auch wie wir schon am Anfang gehört haben, sehr tiefe Einblicke -sowohl aus der Forschung als auch aus der Praxis. Wie sind da deine Erfahrungen, wie weit sind vielleicht besonders fortschrittliche Medienunternehmen im Bereich Zeitschriften, Zeitungen beim Einsatz von KI? Gehen wir in Richtung Vollautomatisierung?

Christof Seeger:  

Das ist natürlich so eine Frage. Nein, ich kann diese Frage so ja auch gar nicht beantworten, wie keiner wahrscheinlich. Ich will nur dran denken, was vor ca. 1 Jahr mit Chat GPT über uns hereingebrochen ist. Wir sind alle im freien Fall, glaube ich. Diese KI ist einerseits ein Faszinosum. Andererseits kriegen wir Gänsehaut, wenn wir übermögliche Konsequenzen nachdenken. Was sich jetzt ein bisschen aus meiner Wahrnehmung in den letzten Monaten herauskristallisiert hat, war eine wieder ordentliche Einordnung der Sache. Denn KI ist der vom im Grundsatz aus meiner Betrachtung zumindest ja nicht immer Rocket Sciences. Es ist irgendwelche Wahrscheinlichkeitsrechnung mit bestimmten Ausgängen und je nach Algorithmus und je nach Tiefe wird es eben dann besser oder weniger vorhergesagt. Und ich glaube, man tut gut daran und das machen die Verleger ja auch, die sagen KI ist wichtig. KI wird unsere Arbeit ein stückweit beeinträchtigen oder beeinflussen, nicht beeinträchtigen. Eher beeinflussen! Wir werden mit der KI leben wollen und müssen, man kann es ja nicht wegdiskutieren. Es ist ja jetzt da und ich glaube die ganz große Frage ist jetzt die, nach dem sinnvollen Einsatz von künstlicher Intelligenz. Und da geht es vielleicht gar nicht so sehr um das technisch Machbare, also um die Vollautomatisierung, wie Du gefragt hast. Sonst könnte man ja sagen: Ja, super, natürlich gibt es irgendwann jetzt schon und später vielleicht noch bessere Algorithmen, die Texte vollautomatisch erstellen. Gibt's übrigens jetzt schon, also Roboter Journalismus, wobei ich dazu nicht KI sagen würde, aber regelbasierte Texterstellung für Service-Texte, für Wettervorhersagen oder im Bereich der Sportberichterstattung kennen wir,  haben wir und ist sozusagen nichts Neues. Und anknüpfend an das, was ich vorhin gesagt habe, bei der E-Paper Geschichte, ich glaube schon auch, dass wir hoffentlich noch lange Menschen wollen und brauchen, die gute Texte schreiben, die qualitativ hochwertige Texte schreiben, die diese Texte kuratieren und die hinter diesen Texten stehen. So wird es hoffentlich auch nie eine vollautomatisierte Redaktion gegeben. Gleichwohl ist KI besonders wichtig in den unterstützenden Tätigkeiten, als Assistenzsysteme und da gibt es ja vielfältige Möglichkeiten diese dort einzusetzen.

Christian Kallenberg:

Das ist natürlich alles richtig. Ich habe aber kürzlich gelesen, dass sich die Anzahl der vollautomatisierten Portale/ Webseiten wie immer man es nennen möchte, in den letzten paar Monaten vervielfacht hat. Nicht nur wird KI dafür eingesetzt, um einzelne Bilder oder Texte zu generieren. Sondern da wird durch KI eine komplette Webseite betrieben, wo kein Mensch mehr drüber guckt, wo dann einfach nur Display Werbung geschaltet wird und sich dadurch die Webseite refinanziert. Da ist also ein Betreiber, im Zweifelsfall eine Person, die so tut, als wäre sie ein journalistisches Unternehmen, aber in Wahrheit eigentlich nur die Werbeumsätze haben möchte und sich null darum kümmert, was auf der Plattform passiert. Das ist Status Quo. Das passiert jetzt schon und die Zahl dieser Portale wächst. Ist das nicht irgendwie ein bisschen etwas, das uns ein bisschen Angst machen müsste?

Christof Seeger:

Die reine Tatsache glaube ich nicht, dass die Angst machen muss. Weil das wird es geben, das wird auch weiterhin so sein. Was mir dann Angst machen würde und wo ich Befürchtungen hätte, wenn diese Webseiten dann eines Tages mehr Reichweite haben als die qualitativ hochwertigen Medienmarken. Wenn das passieren würde, dann ist natürlich der Manipulation und anderen Dingen Tür und Tor geöffnet, aber da hoffe ich doch auch auf die Menschen, die dann – wir haben dieses in ähnlicher Weise auch in anderen Bereichen-   auf einmal ist handmade wieder in, es ist irgendwie wieder nachhaltig hier, Produktionsdinge sind in. Bei der Lebensmittelherstellung geht auch alles viel schneller, günstiger und in größerem Umfang und trotzdem ist es umso wichtiger, dass wir vielleicht mehr Sensibilität haben, wo unsere Nahrungsmittel herkommen. Und ich glaube, in einer komplexer werdenden Welt und in der leben wir ja nun mal zumindest nach meiner Perspektive und die wird auch nicht mehr einfacher diese Welt, brauchen wir sehr verlässliche Informationen und Nachrichtenquellen. Da glaube ich schon, dass dann eine Medienmarke wie auch immer sie jetzt positioniert ist, ob das eine nationale Marke ist, ob das jetzt eine lokale Marke ist, eine Medienmarke ist. Dass den Menschen dann dort auch sehr wichtig ist, dass Sie wissen das schon Journalisten daran gearbeitet haben und nicht die KI den Text erstellt hat. Also schlimm wird es dann für mich, wie gesagt, wenn die Reichweiten und die Nutzerakzeptanz der Rezipientenmärkte das der klassischen Medien überschreitet und wenn aus ökonomischen Gründen die Verleger die Medienhäuser Redaktionen abbauen, um dann KI einzusetzen, um unter einer Qualitätsmarke nur noch automatisiert oder KI-generierte Texte zu veröffentlichen, dann hätte ich ebenfalls große Befürchtung.

Benjamin Kolb:

Das wollte ich auch gerade sagen, das ist die größere Gefahr, dass die Verlage aus Kostengründen- und sie stehen ja unter Druck, das ist ja gar keine Frage - zu so einem Portal werden und man daneben als User auch gar nicht mehr groß unterscheiden kann zwischen so einem Portal und einer vormals qualitativ hochwertigen Marke. Aber ansonsten ist ja schon die Frage: Warum liest man denn im Internet Texte? Und ich glaube, wenn man sich informieren will, jetzt auch eine reine Information, dann ist mir egal, wo die steht. Aber wenn es jetzt wirklich ein Thema ist, mit dem man sich beschäftigen will, dann geht man natürlich irgendwie zu einer Marke, der man jetzt irgendwie vertraut, die auch irgendeine Meinung hat und sowas und diese generierten Texte sind eine Wiederverwertung, die auch in juristischer Sicht natürlich nochmal  spannend ist. Also, da wird sich sicherlich auch einiges verändern in die Richtung, wie wir das jetzt auch schon vor zehn Jahren mit Suchmaschine und so weiter hatten. Das Thema, das wird natürlich in die Richtung KI, wie werden diese Modell eigentlich trainiert, welche Informationen bekommen die denn überhaupt, das ist auch nochmal spannend.  Hast du denn da eine Prognose, Christof?

Christof Seeger:

Ich habe eine Prognose imSinne von, wo es sich hin entwickelt, jetzt nicht konkret, aber ich kann euch sagen, dass wir natürlich gerade in diesem KI Institut sehr spannende Diskussionen führen, wenn da die Juristen am Tisch sitzen und unsere Medienethiker am Tisch sitzen, weil genau das ist dann am Ende ja auch ein Punkt. Nicht nur, was die Informatiker technisch hinbekommen, sondern die Urheberrechtsfragen, die Schöpfungshöhen, die Verantwortlichkeiten, wenn gewisse Falschinformationen dann dort sind und das alles braucht normativ ethische Rahmen. Das ist nicht nur eine Medien-Frage, sondern die europäischen Juristen überlegen sich, wie sie jetzt KI juristisch fassen können, bis hin zu den Schadensersatzforderungen, die durch KI-Schäden unter Umständen entstehen. Und wir haben auch sehr interessante Perspektiven mit den Medienethikern, die natürlich auch genau diese Frage, wie wird z.B. eine KI trainiert, in welchen Bereich hinein entwickelt sich die KI, wenn wir von selbstlernende Algorithmen reden, die durch Belohnungssysteme sozusagen sich weiterentwickeln und da gibt es ja nun auch zumindest bei den ersten KIs, die jetzt nicht mehr aktuell sind, aber kennen wir genügend Beispiele, die sich dann in die ein oder  andere Richtung natürlich radikalisieren, politisch oder in Richtung von Pornografie, weil sie dann einfach hier gelernt haben, also die Algorithmen, dass sie daraus, wenn sie gewisse Themen forcieren mehr Feedback mehr Kommentare bekommen. Dann kann auch ein solcher Algorithmus quasi im Lernen manipuliert werden und das ist eine riesengroße Herausforderung. Was steckt man denn nachher für eine Ethik in diesen Algorithmus? Wo gibt's dann da auch Grenzen? Weil am Ende des Tages ist auch ein Algorithmus ein Werk von Menschen und das bildet das dann auch ein Stück weit ab.


Christian Kallenberg:  

Das Thema rechtlicheAspekte, ich habe den Eindruck, dass da einige Unternehmen dazu übergehen sich da so abzusichern, dass sie zumindest bei der Generierung von vor allem Bildern dazu übergehen als Trainingsdaten nur noch ihr eigenes Material zu benutzen. Ich habe das heute oder gestern gelesen, dass Getty Images das jetzt anbietet, dass sich dort Kunden KI-generierte Bilder kaufen können, die aber nur mit Trainingsdaten von Getty Images, also, wo die Rechte schon geklärt sind, generiert wurden. Ist das irgendwas, was du dir auch breiter vorstellen könntest? Könnte das ein Modell sein auch für Medien-Verlage in Deutschland?


Christof Seeger:

Natürlich! Ich meine, wir haben generell die Diskussion, wo die Daten herkommen, ob die Daten überhaupt für Trainingszwecke verwendet hätten werden dürfen. Kennen wir bei ChatGPT ja auch. Wir haben generell die Diskussion darüber, das ist ein anderes Thema, aber wie Daten erhoben werden, die third party Cookie Diskussion.  Das heißt, da ändert sich grundsätzlich ein Stück weit etwas. Und wenn jetzt aber ein Verlag, der selbst Daten generiert, diese Trainingsdaten benutzen würde. Oder mal Getty Images, hast du genannt. Stell dir vor, ich bin jetzt ein Redakteur und ich suche irgendein Illustrationsbild, eine Ente auf dem Teich. Dann kann man drüber diskutieren, ob eine durch KI-generierte Ente auf dem Teich, ob es verwerflicher wäre oder weniger qualitativ hochwertig, wie wenn ich einen Fotografen rausschicken würde, um dieses Bild zu machen. Andererseits, wir haben ja auch Bilder gesehen, wie dann Persönlichkeiten mit Textilien ausgestattet sind. Also der Papst war in einer Bogner Skijacke oder sowas ähnliches, dann ist natürlich klar auch eine Grenze überschritten, weil es dann auch eben manipulativ ist. Aber ich finde und glaube schon, dass es auch Anwendungsbereiche gibt, wo wir das dann vielleicht in ein paar Jahren als selbstverständlich erachten.

Christian Kallenberg:

Ich möchte einmal ganz kurz zurück gehen und die Chance nutzen, weil du ja auch mit sehr vielen jungen Leuten zu tun hast, um noch mal über das Thema zu sprechen der Marken-Glaubwürdigkeit. Ich habe kürzlich gelesen, ich glaub es war eine Studie aus England, dass dort die News Nutzung über Social Media steigt, moderat steigt aber steigt, während die News Nutzung direkt über die die Portale der einzelnen Marken zumindest durch junge Nutzerinnen und Nutzer sinkt. Das heißt im Umkehrschluss für mich, dass die jungen Nutzerinnen und Nutzer gar nicht mehr unterscheiden, welche Marke das ist, die sie da auf Social Media gesehen haben mit irgendeiner Nachricht, sondern die haben es halt auf Instagram oder TikTok gelesen. Also da ist der Absender der News für die Jungen häufig die jeweilige Plattform und nicht die Medienmarke, die die News publiziert hat.  Wie siehst du das bei deinen Studentinnen und Studenten? Die können da wahrscheinlich allein schon dadurch, dass sie bei dir angesiedelt sind besser unterscheiden, oder?

Christof Seeger:
Sollte man meinen, aber ich habe mir gerade überlegt, was ist Henne und was ist Ei.  Liegt es daran, dass die Verlage einfach in den vergangenen Jahren ihre Markenpositionierung nicht vollausgeschöpft haben? Also ist es vielleicht eine Chance jetzt sogar?  Ich meine Social Media ist nichts anderes als ein Vehikel. Erstmal solange Instagram keine eigenen Redaktionen betreibt und keine Inhalte generiert, ist es ja nur eine Plattform, ein Kanal, auf dem ich als Verlag die Chance habe, mich zu positionieren und darzustellen. Und viele Verlage haben in den vergangenen Jahren und auch Jahrzehnten relativ wenig Wert auf Marken und Markenpositionierung gelegt, die ganze Branche nicht. Und es wäre jetzt aber auch eine Chance zu sagen: Aha, wir entdecken unsere Medienmarke neu für uns und die Bedeutung der Medienmarke und wir stehen eben für z.B. qualitativ hochwertige Inhalte, ob das jetzt als Podcast, als Stream, als Abo oder als E-Paper ist, das ist erstmal zweitrangig. Aber das wäre eine Chance, denn auf der anderen Seite -und ich glaube, da spreche nicht nur für meine Studierenden: Ich glaube, es ist schon jedem Menschen wichtig, dass er verlässliche Informationen bekommt und zuverlässige Informationen bekommt

 

Benjamin Kolb:

Und ich glaube bei diesem Studium muss man im Allgemeinen auch ein bisschen aufpassen, dass man gerade beidem Nutzungsverhalten junger Leute nicht denkt, da wächst eine ganze Generation heran, die ein bestimmtes Verhalten zeigt. Das ändert sich natürlich über die Jahre einfach. Also, wenn man selber daran zurückdenkt, wie man vielleicht mitAnfang 20 News konsumiert hat, und wie man es jetzt tut. Da hat sich schon einiges geändert.

Christof Seeger:
Genau, das ist eben wichtig für die Verlage, dass sie halt diese Touchpoints, also diese Berührungspunkte mit der Marke, dass man die vielleicht noch mal genau überdenkt. Und dass man eben versucht, Angebote zu machen für ich sage mal Einsteiger. Ich sage nicht junge Leute, aber Einsteiger, die einfach - wie du sagst -  irgendwann mal zu der Erkenntnis kommen, dass Themen oder dass Vorgänge in ihrer Umwelt für sie wichtig sind oder dass sie etwas verstehen wollen, wie die Welt funktioniert oder was auf der anderen Seite der Welt passiert. Da müssen Verlage mit ihren Marken und ihren Produkten schon noch mal drüber nachdenken. Denn das Produkt, das General Interest Produkt von 8 bis 88 zu abonnieren, das wird keine einfache Antwort auf eine komplexe Mediennutzungssituation sein können.

Benjamin Kolb:  

Und vor allem liegt auch die Print-Zeitung nicht mehr bei den Eltern zu Hause rum und dadurch ist diese zufällige Berührung mit so einem Medium, was man einfach so aufklappt und liest und sich dann vielleicht auch dafür interessiert, halt auch nicht so da. Deswegen ist bei unseren Kunden schon auch wichtig, dass wir auch in unserem Publishing Produkten anbieten, dass man immer in viele Kanäle publizieren kann mit entsprechenden Varianten, die den Kanal und die Nutzergruppe des Kanals auch ansprechen und dadurch immer wieder die Verbindung zur Marke hinbekommt und natürlich am Ende auf die eigene Marken-Website oder App lenkt.

Christian Kallenberg:

Und da kann KI dann eigentlich auch wieder helfen, indem die KI dann die Inhalte so anpasst, dass sie für die einzelnen Kanäle passend gemacht werden.

 

Benjamin Kolb:  

Genau, also bis hin bis hin zu dem Thema, dass wir für Verlage, und es machen jetzt immer mehr, wirklich digital first produzieren. Dassman dann eben auch teilautomatisiert Texte so kürzt oder verlängert, dass sie auf das Printprodukt passen. Das heißt, automatisiert Varianten erstellt werden, die sich an bestimmte Layouts anpassen, sodass man daneben auch Effizienzen in der Ausleitung Richtung Print hat, wenn man es mal so nennen will. Und klar, jetzt gibt noch viel mehr, also automatisierte Erzeugung von A/B-Tests für irgendwelche Headlines, die dann ausgespielt werden und versuchen, da möglichst gute Ergebnisse in der Retention zu bekommen. Also, da gibt's Einiges was jetzt schon im Einsatz ist.


Christian Kallenberg:  

Christof, ist das auch deine Wahrnehmung, dass das ein sinnvoller Einsatz von KI im Verlagsumfeld ist, der jetzt schon passiert - auch bei den Kooperationspartnern, mit denen du arbeitest?

Christof Seeger:

Ja, also, wie gesagt generell ist glaube ich, ist KI gut eingesetzt, wo es Assistenzarbeiten gibt, wo Zuarbeiten gemacht werden können. Die können unterschiedlich sein, wie Benjamin gerade sagt.  Zum Beispiel in der Anpassung auf verschiedene Ausgabeformate. Man könnte ein Schritt weitergehen, dass auch der Sprachduktus angepasst würde, wenn man sagt, versuch doch mal, eine lockere jüngere Sprache zu verwenden oder eine akademische Sprache zu verwenden. Ich glaube sowas kann KI leisten. KI kann leisten beispielsweise auch automatisierte Querverweise in Texten zu erstellen und so weiter. Aber auch in der Recherche und Themenfindung, in der Distribution in dem Sinne von Empfehlungsalgorithmus.Welches Thema macht für welchen Kanal auch Sinn, für welche Audienz, für welche Zielgruppe schreibe ich das beispielsweise. Also das schon und natürlich insgesamt in der Vereinfachung von Redaktions-/ Organisationsabläufen. Ich glaube da ist auch viel drin, um die Prozesse einfacher zu gestalten, um Dinge zu teilautomatisieren, wo bislang die JournalistInnen selber Hand anlegen mussten.Und wenn das alles oder wenn da vieles davon durch KI automatisiert werden kann, dann haben die JournalistInnen mehr Zeit für Recherche und gute Artikel und dann hilft es der Marke wieder am Ende des Tages.

 

Benjamin Kolb:

Und ganz spannend, was du gesagt hast, weil die Use-Cases, die du gerade aufgezählt hast von Themenfindung bis Artikel verlinken oder sowas, die haben wir ja in unserem Produktportfolio schon seit ungefähr 5 Jahren. Und durch diesen Hype mit GPT merken wir aber jetzt, dass das ganze Thema natürlich einen ganz anderen Drive bekommt, weil das Thema KI für die Verlage vorher halt normal in der Digitalabteilung immer spannend war, aber sobald es Richtung Redaktion ging, war es ein Tabuthema. Es gab ganz Wenige, die sich da wirklich haben inspirieren lassen. Und diese Diskussion ändert sich jetzt gerade fundamental, also seit einem Jahr.

 

Christof Seeger:  

Also, wir wissen ja, dass KI generell nichts Neues ist. Die Algorithmen stammen zum Teil aus den 60er Jahren. Wir haben halt jetzt die Rechnerkapazität und die Schnelligkeit und auch die Akzeptanz, wie du sagst durch diese großen Sprachmodelle, durch die generativen Anwendungen aus dem letzten November. GPT hast Du genannt, Bard ist das Nächste. Weitere werden folgen. Das ist wie E-Paper nichts Neues. Nur jetzt halt in aller Munde und jetzt macht man sich Gedanken drüber und die Akzeptanz steigt eben, das auch irgendwie sinnvoll in Produkte zu überführen und einsetzen zu wollen.

 

Benjamin Kolb:

Und ganz banal gesagt, auch die Angst steigt, was Fundamentales zu verpassen, wenn man nicht jetzt auch mit auf den Zug aufspringt und da mal schaut, was man eigentlich machen kann. Weil natürlich die Konkurrenz dann viel effizienter sein wird und man selber auch was tun muss. Also dieser Druck ist einfach auch gestiegen.

Christian Kallenberg:

Dann würde mich jetzt interessieren, Christof, wir haben jetzt ganz viel Berufliches besprochen. Als Professor an der Hochschule der Medien benutzt du privat noch Medien, alsol iest Du tatsächlich auch noch irgendwas privat oder ist es alles im Rahmen des Jobs?

 

Christof Seeger:  

Die Frage habe ich mir noch nie gestellt, denn es verwischt, verschwimmt. Man ist ja generell neugierig, ich bin politisch interessiert, ich habe Hobbys. Und ob ich jetzt den Artikel in der Zeitung für berufliche Zwecke oder für private lese, habe ich mir noch nie Gedanken drüber gemacht. Ich bin ein digital omnivore und ein Nachrichten-Junkie. Und  ich versuche mich überall und immerzu informieren über alles mögliche. Aber vielleicht bin ich auch deswegen Professor dafür, weil es da gar keine Grenze gibt.

Benjamin Kolb:  

Also kein ganz spezielles Hobby, wo man eine ganz spezielle Marke für liest in der Freizeit?!

Christof Seeger:

Nee, da würde ich jetzt ja auch Werbung machen. Nee, nee, nee, nee, also das Schöne ist und tatsächlich das mein ich jetzt ganz ernsthaft ist ja auch, dass ich durch meinen Job ja auch sehr viel Zugänge habe zu Informationen und auch das Privileg besitzen darf, das ein oder andere Zugangspasswort von Verlagen bekommen zu haben für die Lehre, wo wir sie auch einsetzen, um Beispiele zu zeigen und da ist ja schon alleine die Vorbereitung einer Vorlesung und man guckt sich die aktuelle E-Paper Ausgabe an. Da verschwimmt logischerweise Privates und Berufliches, denn der Artikel, den ich dort lese, der kann mich ja auch und Umständen privat interessieren.


Christian Kallenberg:

Richtiger Hinweis! Danke,Christof! Und auch für alles Vorhergesagte heute. Wir hätten noch eine ganze Weile weitersprechen können, aber vielleicht müssen wir einfach in zwei Jahren nochmal eine zweite Folge machen. Denn ich bin mir sicher, bis dahin hat sich zu den besprochenen Themen sehr, sehr, sehr viel getan und ich bin gespannt zuhören, was du dann darüber denkst. Vielen Dank für heute!

Christof Seeger: Vielen Dank euch beiden, dass ich euer Gast sein durfte und bis bald.

Benjamin Kolb: Dann mal bis bald, tschüss.